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Título del texto editado:
Lope di Vega, Leßing und Pastor Richter: Eine Anekdote aus der Unterwelt
Autor del texto editado:
Meissner, August Gottlieb
Título de la obra:
Lope di Vega, Leßing und Pastor Richter: Eine Anekdote aus der Unterwelt
Autor de la obra:
Meissner, August Gottlieb
Edición:
Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf, 1782


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Lope di Vega, Leßing und Pastor Richter.

Eine Anekdote aus der Unterwelt.


Der Schatten Leßings war nun in den elisäischen Gefilden angelangt; angelangt in der Gesellschaft iener großen Männer, deren Pfad er selbst ehmals betreten, und deren Größe er sich errungen hatte. Nie noch sah eine neuangekommene Seele sich so von ieder Seite her mit Freundschaft und Jubel begrüßt; Nie noch sammleten sich um eine so einmüthig die Geister der Weltweisen und Dichter, der Geschichtschreiber und Künstler, der Alten, Mittlern und Neuern. – Ihm drückte Homer freundschaftlich die Hand, und versicherte; daß wenige ihn so ganz gefühlt, so ganz verstanden hätten. – Ihn umarmte Aristoteles, und freute sich des Scharfsinns, der so tief in seine feinste Regeln eingedrungen sey, so siegreich sie vertheidigt habe. – Ihn nannte Euripides: Sohn! Shakespear: Bruder! und Moliere: Freund! – Ihm rief lächelnd Leibnitz zu: Sey mir willkommen; ich beneide dich nicht; selbst wenn ich den Titel des ersten Teutschen von nun an mit dir theilen sollte! – Kurz, alle bewunderten, alle liebten ihn. Selbst Voltaire vergaß der Dramaturgie, (die er iezt erst verstand) gab seine Merope und Semiramis Preis; – und freute sich des wetteifernden Wißes.

Nur einer von allen würklich großen Geistern hielt sich in steter Entfernung und schien mit verdrüßlichem Lächeln auf Leßingen herab zu sehn, – der Schatten des Lope di Vega. Er war zu lange her gewohnt, sich verehrt, oder vielmehr angebetet zu sehn; hatte ein allzugroßes Vorurteil gegen alles, was aus Teutschland kam; und besaß viel zu wenig Kentnis von Leßings mannichfaltigen Verdiensten; als nicht den Beifall, den man diesem zollte, beinahe für Beleidigung seiner selbst, und für Raub einer Ehre, die ausschließungsweise ihm zukomme, anzusehn.

Wenn die Schaale Lethens gleich (was zwar in der Fabel selbst für Fabel gilt) alles Andenken an die zurück gelaßnen irdischen Dinge tilgen soll, so verändert sie doch wenigstens den Karakter des Trinkenden nicht. – Leßing blieb noch dort unten der, der er hier oben war. Er griff niemanden, zumal den Mann von Verdiensten, zuerst an; aber er stand iedem, der ihn angreifen wollte; focht ieden einmal angefangenen Kampf männlich und muthig aus. – Kaum merkt er daher das Verächtliche in Lope’s Mienen, als er fest beschloß, den stolzen Spanier zum Sprechen und durch dies Sprechen wieder zum Schweigen zu bringen; als er ein Mittel ergriff, das unfehlbar bald die Sache zu einer Erklärung bringen mußte; das Mittel, die nächste Laube an Lope’s seiner für sich zum Aufenthalt zu wählen. Hier konnte oder mußte vielmehr iener nun mit eignen Augen ieden Vorzug seines vermeint lichen Nebenbulers sehen; mußte desto schmerzlicher ihn fühlen, ie mehr er von der Oede abstach, die iezt bei ihm sel ber herrschte. – O fürwahr, das war mehr als er ertragen konnte! – Wenige Tage, und er suchte nun Leßingen selbst auf; ließ sich in folgendes Gespräche mit ihm ein.

Lope. Hast du schon irgend einen Ort in den Elisäer Gefilden dir zum bestimmten Aufenthalt gewählt, Fremdling?

Leßing. Nein; und möcht’s wahrscheinlich auch nie thun. – Schon in ienem Leben band ich mich ungern an einemn Ort; hier dürfe ich es wohl minder.

Lop. Aber gedenkst du dich wenigstens noch eine geraume Zeit in meiner Nachbarschaft aufzuhalten?

Leßing. (kalt) Vielleicht! Warum?

Lop. O nur so. – Blos einer Kleinigkeit halber wünsche ichs zu wissen.

Leß. (mit bedeutendem Lächeln) Noch wußt’ ichs selber nicht; Nun aber glaub’ ich so ziemlich bestimmt es beiahen zu können.

Lop. Ich verstehe. – Laß uns aufrichtig zusammen sprechen, Schatten. – Sicher erinnerst du dich dessen, was man vom Alexander sagte: Die Welt vermöge nicht deren zwei zu ertragen.

Leß. O ia! aber die Anwendung?

Lop. Man lobt so sehr deinen Scharfsinn, und du könntest dir solche nicht selber machen? – Freilich ist Elisium nicht die Welt dort oben; freilich kann sie der ehrgeizigen Seelen mehr als eine dulten. Aber ob wenigstens Nachbarschaft bei ihnen rathsam sey; meinst du das?...

Leß. (mit kaltem Spott) Ich meine, daß der, der in sich den Alexander fühlt, versuchen möge, ob der Andre Darius sey, und ob es hier auch ein Arbela gebe!

Lop. Viel Zuversicht auf eigne Kraft fürwahr! – Wohlan Schatten, ich seh’s, wir müssen uns besser kennen lernen.

Leß. Müssen wir?

Lop. Und also sage mir dann, ich bitte dich; worinn bestand dein Verdienst um Literatur überhaupt, und zumal um die Literatur deines Volks? Ich läugn es nicht, ich kenne die letztere nur sehr wenig; auch wird dich dies nicht Wunder nehmen, wenn du bedenkst, daß ich von einem Volke abstamme, das damals gewohnt war, dem Deinigen zu befehlen.

Leß. (ernst) Dem Meinigen zu befehlen! Wenn hätten die Philippe von Spanien dies gethan?

Lop. (stolz) So wie überhaupt dem Erdkreis.

Leß. (lächelnd) Ah, wieder gut gemacht! Schade nur, daß der Erdkreis dafür auch gewohnt war, dann und wann – und dies dalin und wann kam oft – nicht zu gehorchen. Die Flotte, auf der du unter Medina Sidonia ausliefst, trug vergebens die Fesseln für künftig Ueberwundene mit sich. 1

Lop. Weil ihr nicht geboten war, wider Wind und Wellen zu streiten. – Aber laß das! Nicht unsre Nationen, wir nur wetteifern iezt; und nicht, was Teutscher oder Spanier, sondern was Du gethan hast, möcht’ ich gerne wissen.

Leß. Und soll ich dir das alles, mit dem, was die Oberwelt Bescheidenheit nennt, ob sie gleich oft es Heuchelei nennen sollte, oder mit der Aufrichtigkeit, deren wir uns hier befleißen, erzälen?

Lop. Versteht sich wohl von selbst, mit der letztern.

Leß. Nun so glaub’ ich dann mich mit Wahrheit rühmen zu können, daß ich nicht nur der Gaben viel empfieng, sondern auch weislich mit ihnen wucherte. Als Dichter, Philosoph, Sprachkundiger, Historiker, Antiquar, Fabulist und Kritiker hab ich meine Rolle gespielt; in keinem dieser Fächer obenhin und mittelmäßig; in den mehresten der Erste meines Volks. Gleich glücklich, wenn ich ein leichtes Trinklied sang, oder des menschlichen Herzens geheimsten Winkel erforschte, oder über – gemalte Fensterscheiben schrieb. 2 Ich fand die Schaubühne Teutschlands öde und arm an eignen Früchten. Uebersetzungen, kalt und steif waren ihre Zierde; Gottscheds sterbender Kato war ihr Meisterstück. Ich gab ihr Werke die alles bisherige übertrafen, und selbst bis iezt unübertroffen geblieben sind. Ich verband zuerst die Gründlichkeit einer unbestochnen Kritik mit aller Anmuth eines unerschöpflichen Witzes, Geschmack mit Gelehrsamkeit und philosophischen Geist mit der Gabe zu gefallen, Mir verdankt die teutsche Prosa den grösten Theil ihrer ießigen Kürze und männlichen Wohlklangs; und meine dramaturgischen Blätter öfneten zuerst den blinden Nachahmern der Franzen die Augen und wiesen sie zu den bessern Britten hin. Dies ist ein Auszug dessen, was ich that! dünkt es dir genug?

Lop. Viel! würklich sehr viel! Aber noch nicht genug, um sich mit mir zu messen. – Wisse! wenn - andre sich zum Dichter erst bilden müssen, ward ich schon als Dichter geboren.

Leß. (lächelnd) Wohl möglich! Aber wiß’ auch, daß dies dein Verdienst mehr mindert, als erhöht. Erworbner Reichthum ist rühmlicher, als ererbter.

Lop. Auch dieser wird rühmlich, wenn der Erbe ihn zu nützen versteht! – Und fürwahr, das verstand ich mehr, als alle, die vor oder nach mir lebten. Im fünften Jahre fieng ich schon an Dichter zu seyn, und blieb es noch im drei und siebenzigsten. Achtzehn hundert Lust und Trauerspiele, vier hundert geistliche Dramen, eine wohl eben so starke Menge lirischer und prosaischer Schriften – wer, glaubst du wohl, kann mit mir sich messen? Und doch, trotz dieser ungeheuern Anzahl, war keines meiner Werke, das flüchtigste selbst nicht ausgenommen, ganz mittelmäßig; doch fandest du in iedem des Stoffes übergnug den unermeßlichen Reichthum meiner Einbildungskraft zu bewundern.

Leß. Du sagst mir nicht mehr, als ich schon weiß, und die Stimme deines Vaterlands.

Lop. (einfallend) Ließ mir Gerechtigkeit wiederfahren, mehr, als iemals ein Dichter sich rühmen kann. – „Es ist von Lope!“ Diese wenigen Worte galten der empfehlendsten Kritik gleich. Päbste schrieben eigenhändig an mich, und errheilten mir Orden und Würden; Könige und Fürsten liebten mich; Schaaren des Volks folgten mir ehrerbietig durch die Straßen, wenn ich ausging, und aus allen Provinzen Spaniens kamen Fremde herbei, blos um mich zu sehen.

Leß. Ja gewiß, da hast du Recht, das ist mehr, als sonst ie ein Dichter sich rühmen kann; zumal ein Teutscher, von Jugend auf an Kälte der Großen und Kleinen gewöhnt! Nur freilich bleibt es immer noch die Frage: Wen dieser Beifall am meisten ehre? dich, der ihn empfing? oder das gutherzige Volk, das gern am Tag legen wollte, was es dir schuldig zu seyn glaubte? Selbst deine Schriften – – (er stockt)

Lop. (mit stolzem Ernst) Nun, und meine Schriften?

Leß. Es ist allerdings viel, wenn unter einer solchen ungeheuern Menge nichts ganz mittelmäßiges – ich bediene mich deiner eignen Worte – sich verloren haben sollte. – Aber Anspruch auf der Dichtkunst höchste Staffel giebt dir dies noch nicht?

Lop. (mit spöttischem Lächeln) Richt? – Wolltest du mir wohl sagen, welcher Anspruch sonst dir rechtskräftig scheine?

Leß. Sehr gern; wenn du mir zuvor gesagt haben wirst: welches von allen deinen Werken das Vorzüglichste, das ganz Untadelhafte, das Einzige, das in seiner Gattung sonst ganz Unerreichte gewesen sey?

Lop. (etwas verlegen) Einzig! Unerreicht! – Was bedarf es da, wo alles gut ist, eines einzigen hervorragenden?

Leß. Doch! – Es müßte ein sonderbarer Anblick um eine Reihe von einigen tausend gleich großen Riesen seyn! Verzeih, wenn ich, der ich immer schwer an Glauben eines Wunders gieng, auch dies noch bezweifle. Was häufig ist, ist selten vortrefflich. – Aber da ich einmal in Fragen bin – fast besser in Fragen, als du in Ant worten – so sage mir doch: Welche deiner Schriften brach in den Wissenschaften neue Bahn? Mit welcher erwiesest du dich als Schöpfer einer vorher noch nie da gewesenen, gleich neuen und gleich tadelfreien Gattung?

Lop. Wirf einen einzigen Blick auf die unzählbare Menge meiner Nachahmer, und du wirst Antwort auf deine Frage haben; wirst eingestehen, daß ich Bahn gebrochen haben müsse. – Eben diese Menge Nachahmer, die fast immer nur guten Willen ohne Kraft besaßen, brachte ia die Akademie zu Madrid auf den sonderbaren Einfall mir Rechenschaft über die Unregelmäßigkeit meiner dramatischen Arbeiten abzufodern. Eine Foderung, die mir Gelegenheit zu iener Satire gab, die ein Muster von feinem Spotte bleiben wird.

Leß. Ohne deswegen ein Muster von gegründetem Spotte zu seyn! – Lope, nicht alles neue, nicht alles, was nachgeahmt wird, ist gut. Oft wiederfährt ihm dieses letztere nur, weil es leicht ist. Sich zum Tribunal aufzuwerfen, hatte freilich deine Akademie kein Recht, aber zu Kritik und Tadel sicher alles mögliche.

Lop. Alles mögliche? Und weswegen?

Leß. Weil dann selbst das gröste Genie dem Ganzen seiner vaterländischen Dichtkunst selten oder niemals nützt, wenn es durch sein Beispiel Anlaß zu Zügellosigkeiten, zu Verachtung aller Regeln, zur Vermischung von Unsinn und Vernunft giebt. – Mag immerhin sein eignes Talent, Fehlern den Anstrich von Schönheiten leihen; weh dennoch seinem Vaterlande, wenn er das Haupe von einer Sekte werden sollte! Seine Nachbeter werden ieder seiner Flecken und keines seiner Verdienste haben; werden thöricht gnug diese selbst in ienen suchen.

Lop. Sehr streng! Es sollte mich Wunder nehmen, wenn du frei von einer Sünde geblieben wärest, die die gewöhnliche Sünde feuriger Genies zu seyn pflegt.

Leß. Nur solcher Genies, die sich im alleinigen Besiß iedes Vorzugs träumen, oder unwissend in den Vorzügen anderer sind. Eben das, daß ich nur Vorurtheile verdrängte, und keine neuen einführen half; daß mein Lauf nicht der Lauf eines zügellosen, sondern muthigen, doch weislich gelenkten Rosses war; das, Lope di Vega, ist mein größter Stolz. – Ja, Freund, hätt ich auch nur ei ne einzige Galotti oder Minna geschrieben, die auf der Bühne sich hält, und ein anerkandtes Vorbild andrer Dichter abgiebe; hätt’ ich auch nur durch eine einzige Dramaturgie dem verderbten Geschmack des Volks eine beßre Lenkung gegeben; hätt’ ich selbst nur ienes kleine klaßische Bändchen Fabeln geschrieben, schlummern möchten meine übrigen Schriften, und ich würde doch den Wettkampf mit dir nicht scheuen.

Lop. (beleidigt) Du den Kampf nicht scheuen? den Kampf mit mir? Allerliebst! Hier, wenn’s hoch kommt, kein volles Dutzend, und bei mir zwei tausend vier hun dert dramatische Stücke.

Leß. (lächelnd) Hier ein knappes Dutzend, und dort zwei tausend vier hundert Stück! Sehr richtig gezählt! Aber, sonderbarer Mann, wenn auch ein Flug von Geiern oder Habichten sich in die Höhe hebt, und iezt ein einziger Adler sich kühn und glücklich bis zu den Wolken schwingt; bleibt denn der Schwung dieses Letztern nicht der vorzüglichere, obgleich dort mehrere sind, die auch – und um billig zu seyn – wenigstens nicht niedrig fliegen.

Lop. (immer noch mehr beleidigt) Fürwahr, du bist sinnreich! dein Gleichniß allein überzeugt mich schon. Aber freilich ist es leicht Vorzüge zu verkleinern, die man nicht erreichen kann.

Leß. Nicht erreichen? Im Ernst, Lope di Vega, hältst du denn diese deine Fruchtbarkeit, der allerdings das Beiwort: ungeheuer, zukömmt, für etwas so ganz einziges und unerreichtes?

Lop. (mit Stolz) Für etwas so ganz einziges, so ganz unerreichtes, daß ich dir Trotz biete, mir unter allen Na tionen – zumal unter deiner phlegmatischen – einen Mann aufzufinden, der in diesem Punkte mit mir sich messen könne.

Leß. Was siehst du mich so starr dabei an? daß ichs nicht kann, gesteh ich gern. Auch hielt ich Bücherschrei ben nie für die einzige Pflicht meines Lebens. Aber wenn ich dir nun einen ähnlichen Vielschreiber auffinde, willst du mir dann eingestehen daß ich in den übrigen Punkten dich überwunden habe? Willst du mir dann den Vorzug des Werths in einzeln Arbeiten einräumen, wenn ich dich auch aus deinem letzten Schlupfwinkel, wo du blos mit der Menge der Schriften dich verschanzest, siegreich vertreibe?

Lop. (wie vorhin) Ich will’s! Und um ganz gerecht zu seyn, um dich ia nicht zu übereilen, geb’ ich dir drei hiesige Tage Zeit, um während derselben so viel Schatten, als du willst, um dich her zu versammeln und zu befragen.

Leß. Nicht doch, allzugrosmüthiger Lope, nicht doch! Es sind ihrer vielleicht schon genug um uns versammlet. – Freigebigkeit gewisser Art liebt’ ich von jeher noch minder, als die Kargheit; und um daher deine Grosmuth mit gleicher Grosmuth zu vergelten; – – Aus allen Nationen, sagtest du, zumal aus der meinigen. Nicht?

Lop. Richtig!Leß. Das heißt wohl auch so viel, als: aus den Männern aller Zeiten?

Lop. Sehr gut erklärt!

Leß. Sieh, ich will nicht an alle Nationen, nicht an alle Zeiten, nur an dies Zumal mich halten; will dies Zumal so gar pünktlicher, als du selbst nehmen. Teutschland, im gemeinen Verstande des Worts, sey noch zu groß für mich; ein solcher Sieg zu unrühmlich für meinen Stolz. Blos in dem Zeitraum, in dem du selber lebtest, und in der einzeln mäßigen Provinz, die mich gebahr, will ich suchen, in ihr entweder finden, oder ganz verloren haben.

Lop. In dem Zeitraum, in dem ich lebte? – Das wäre viel! –– Aber auch in der Provinz, die dich gebahr, wie verstehst du das?

Leß. Das, dünkt mich, sey doch deutlich genug – Ich war ein Oberlausißer.

Lop. Oberlausißer? – Oberlausißer? – Ich erinnere mich ehemals nie den Namen dieses Landes gehört zu haben.

Leß. Ehmals, das glaub ich gern. Jetzt kennt ihn wahrscheinlich ieder Kaufmann von einigem Gewicht in deiner Nation. – Aber sey's darum; um desto rühmlicher für mein Vaterland, wenn Lope di Vega ehmals nie seinen Namen hörte, und es eben damals Männer aufstellte, die ihm schamroth machen dürften.

Leßing blickte, indem er dies sprach, unter den Zirkel von Schatten umher, der sie umgab, und neugierig diesem Wortwechsel zugehört hatte. Kaum hatte er mit flüchtigem Auge die Hälfte des Kreises überfahren, als er voll Freuden ausrief:

„Vortrefflich! Vortreflich! Sie hier, lieber Landsmann? Lieber Pastor Richter? Nur näher, näher! Jezt gilts eine Probe, ob ich auch Literator sey.“

Mit einiger Verlegenheit in seiner Miene und mit noch größerm Erstaunen seiner nachbarlichen Brüder drang sich iezt ein Schatten hervor, der bis iezt ganz unbemerkt gestanden hatte. In ihm den Mann zu sehn, der dem großen Lope entgegen gestellt werden sollte, war allen unbegreif sich; Leßing lächelte als er dies merkte, und fuhr mit seiner gewöhnlichen Heiterkeit fort:

„Zweitausend vierhundert dramatische Stücke hast du also in deinem Leben dort oben geschrieben, Lope di Vega?“

Lop. Ja.

Leß. Nun, so hab ich dann die Ehre dir hier einen Zeit genossen und einen Mann vorzustellen, der in weit minderer Frist, als du, nicht weniger, als sechstausend Predigten schrieb; mitten unter den Bedrängnissen einer wüthenden Pest 3 und des noch weit wüthendern dreißigiärigen Kriegs sie schrieb und hielt. Eine Menge andrer Schriften von ihm gegen die Fanatiker seiner Zeit und über verschiedene theologische Gegenstände ungerechnet. – Uebrigens Pastor Primarius Richter aus Görliß, seinen Namen, Stand und Geburtsort nach – Du staunst? Du schweigst?

Lop. (noch betreten) Sechstausend Predigten.

Richt. Eher mehr als minder.

Lop. Und in welcher Zeit?

Richt. Einige dreißig Jahr ohngefehr.

Lop. (lächelnd und wieder gefaßt) Eine fürchterliche Zahl, das räum’ ich ein. – Aber doch nur Predigten! – Leßing, wenn ich vorhin ein paar Augenblicke staunt und schwieg, so geschah es nicht aus Beschämung, sondern aus Verwundrung über dich.

Leß. Verwundrung? Mit welchem mir selbst un bekandten Vorzuge hätt ich denn diese iezt gereizt?

Lop. Gewiß mit keinem Vorzuge, aber wohl mit dem sonderbaren Einfalle, meinen dramatischen Arbeiten die Predigten eines guten ehrlichen Pastors entgegen zu seßen, den - -

Richt. (einfallend) Ich will hoffen, Lope, - -

Leß. (gleichfalls einfallend) Still, lieber Landsmann; überlaß mir nun deine Sache! - - - den? was wolltest du sagen, Lope? (Richter tritt wieder etwas zurück)

Lop. Den, sicher minder innerer Beruf, als Amt und Pflicht zum Schriftsteller machten.

Leß. Und wenn auch! Wohl dir und iedem Schriftsteller, wenn ihn nicht iezuweilen noch etwas unverdienst licheres als Amt und Pflicht, wenn nicht die Nothdurft ihn zum Schriftsteller macht!

Lop. Aber Predigten! – Predigten! Warum eben Predigten?

Leß. Du wiederhohlst das Wort Predigten so oft, daß wenn viel Priester dir zuhören, sie sicher bald beim Minos ein übles Spiel dir machen werden. – Glaubst du vielleicht dich beleidigt durch die Vergleichung mit Arbeiten, die nicht blos für die zweistündige Belustigung eines gemischten Haufens, sondern zur Belehrung und Erbauung nie dergeschrieben worden sind?

Lop. Und wenn ich dies nun glaubte; wenn ichs sogar laut gestünde, handelte ich unvorsichtiger, als du, der selbst dramatischer Dichter war, und nun ganz vergißt, daß er gegen eignen Vortheil spricht?

Leß. Ich vergeß es nicht. Krieg gegen ieden, der behauptet, daß auch das Schauspiel nicht belehren, bessern, nützen könne! Es kanns, und thuts. Aber nicht Krieg gegen den, der der Meinung ist, daß eine Predigt oft mehr, als zehn Schauspiele nützen könne. – Nützen könne! – verstehst du mich? Nicht allezeit nüzt! Nicht: nützen müsse. Der Dichter, der Duldung lehrt, hat oft wieder gut gemacht, was zehn unduldsame Priester übel machten. Aber hier, wo wir vom gewöhnlichsten Fall, von der gewöhnlichsten Wirkung sprechen, hier - - Lope, du verstehst mich; um noch aufrichtiger zu seyn, müssen wir diese Zeugen nicht haben. (auf den Kreiß der Zuhörer weisend) Man gab mir dort oben Schuld, daß ich mich iezuweilen nicht für Aergernis hüte; ich will es wenigstens hier unten thun.

Lop. Und wenn ich auch dich verstände, wenn du auch zum Theil mir Recht zu haben schienest, mußtest du denn eben die Predigten eines Mannes mir entgegen stellen, der ganz vergessen worden? – Du bist der erste Teutsche, der ihn hervorzieht, da mich in Spanien ieder Knabe von sieben Jahren schon kennt, ieder Jüngling von zwanzigen stellenweise auswendig gelernt hat.

Leß. (lächelnd) Würklich? – Was doch oft auch Geister von erster Größe die Leidenschaft wider sich selber sprechen läßt! – Fruchtbarkeit des Schriftstellers oder des Gelehrten muß also doch in meinem Vaterlande nicht etwas ganz so unerhörtes seyn, weil man den geruhig hinschlummern läßt, dem sie zu Theil ward? Geruhig hinschlummern, bis nach Jahrhunderten ein Küster in seinen Jahresschriften, 4 oder ein Literator, im Wortwechsel aufgefodert, ihn wieder hervorruft! – Ueber haupt, Lope di Vega, vergiß den rechten Gesichtspunkt unsers iezigen Streites nicht; er betrift nur die Fruchtbarkeit des Schriftstellers, nicht den Werth seiner Arbeiten. Wer von euch beiden mehr, nicht wer bessere Kinder gezeugt, davon ist die Rede! Denn schon dann, wenn ich Beispiele eines dir gleichkommenden Polygraphen anführen könnte, wolltest du auch in den übrigen Punkten dich für überwunden erkennen. Sagtest du nicht so?

Lop. Leider! – Ein Spanier läugnet sein einmal gegebenes Wort nicht, und wär’ es gegen seinen eigenen Vortheil.

Leß. Und ein Teutscher misbraucht seinen Sieg nicht, hätt’ er auch noch so mühsam ihn erkauft. – (mit dem edelsten offensten Ton) Lope di Vega, ich glaub’ erfüllt zu haben, was ich mir vornahm, aber ich erlasse dir iedes Geständniß, daß dir erniedrigend scheinen dürfte. Daß du Hochachtung verdienest, läugnet’ ich nie; aber alleinige, allererste, das bezweifelte ich, und bezweifl’ es noch. Deiner Billigkeit überlaß ichs nun ganz allein, ob du auch mir Verdienst und Scharfsinn zutrauen wilst; ob wir Freunde seyn sollen, und ob du einen Teutschen noch unwerth deiner Nachbarschaft und deiner Achtung hältst.

Lop. (ihn umarmend) Werth meiner Freundschaft, meiner Achtung, meiner Nachbarschaft! – selbst, wenn du willst, des Vortritts werth!

Leß. O still, still von diesem! Hier, wo dem Himmel sey Dank, noch nicht das Vorurtheil von Rang und Würden sich eingeschlichen hat.





1. Lope di Vega diente mit auf der berühmten sogenannten unüberwindlichen Flotte, die 1588 gegen England auslief.
2. In den Beyträgen zur Geschichte und Litteratur.
3. In den Jahren 1599 und 1607, am stärksten 1613.
4. Die kleine Schrift, aus der der Hr. Gr. v. A. die Anekdote von der Fruchtbarkeit des Pastor Richters zog, ist eine von den iährlichen Nachrichten der Görlizischen Küster, die gewöhniglich die Kirchengeschichte dieser Stadt betreffen.

GRUPO PASO (HUM-241)

FFI2014-54367-C2-1-R FFI2014-54367-C2-2-R

2018M Luisa Díez, Paloma Centenera